Grundschule am Schilfufer Hamburg

KOMPARTMENTSCHULE - Das Schulgebäude als Verräumlichung einer pädagogischen Vision

Wie bei kaum einer anderen Bauaufgabe verwirklicht sich im Schulbau immer aucheine pädagogische Vision. Unsere architektonische Konzeption für den Entwurf der Grundschule Am Schilfufer in Bergedorf ist maßgeblich von pädagogischen Pro-grammen geprägt und lässt sich als Verräumlichung einer programmatischen Idee verstehen. Leitbild ist die Idee eines Kompartment-Schulhauses, das sich aus klei-neren, mehr oder weniger autonomen Schuleinheiten zusammenfügt. Jedes Kom-partment gruppiert sich um ein zentrales Forum, das Treffpunkt, Ankunfts-, Arbeits-und Bewegungsraum ist, aber auch Besprechungs- und Pausenfläche mit Platz fürRückzug und Erholung. In direkter räumlicher Beziehung gruppieren sich je zwei(Stamm-)Klassenräume sowie ein gemeinsamer Fachklassenraum an die Forumsbereiche. Ein Teamraum pro Geschoss für das pädagogische Personal komplettiert das Raumangebot jeweils zwischen zwei benachbarten Einheiten der jeweiligen Lernebene. Entdeckungs- und Forschungsräume veranschaulichen den der Schule zugrundeliegenden Gedanken des produktiven Lernens. Wie in historischen Dielenhäusern an prominenter Stelle in den Eingangsbereichen verortet, empfangen sie Schüler wie Besucher gleichermaßen mitten im Lerngeschehens und werden so zur Visitenkarte der neuen Schule.

STÄDTEBAU - Schule und Sport als bauliches Ensemble

Für den Grundschul-Neubau schlagen wir zwei Baukörper vor, die ein bauliches Ensamble mit hoher Identität bilden und dabei sensibel auf den städtebaulichen Kontext reagieren. Das Schulgebäude im Osten positioniert sich mit großem Abstand zur südlichen Wohnbebauung. Die Längsseite bietet Schallschutz zum Sander Damm und bildet einen Kopf zur Schleusengrabenbrücke aus. Die Sporthalle nimmt die Flucht der Glasbläserhöfe auf und wird „Auftakt“ zum neuen Schulcampus. Zwischen Sporthalle und Schulbau spannt sich ein klar definierter Pausenraum auf, der sich zur Uferpromenade nach Osten hin öffnet. Zusammen mit dem „offenem Laboratorium“ bildet er unterhalb der Sporthalle ein großzügiges räumliches Kontinuum, das sich bis zum Vorplatz im Westen erstreckt. Bildgeber ist hier das für Hansestädte typische Gangmotiv zwischen öffentlichen und privaten Räumen der Stadt. Der Pausenraum bietet eine weitläufige Zirkulationsfläche mit unterschiedlich „lauten“ und „leisen“ Aufenthaltsbereichen.

KONTINUITÄT – Glintmauer, Diele und Dornse

Verwandtschaften zur traditionellen norddeutschen Backsteinarchitekturen prägen den identitätsstiftenden Ort. Eine Glint- oder Schutzmauer verbindet die neue Schulanlage. Wie eine hanseatische gemeinsame Brandwand zwischen zwei Nach-barn fungiert sie als Struktur-Generator der städtischen Anordnung und verfestigtdie Parzellenstruktur. Der Grundriss des Eingangsbaukörpers (für Turnhalle und Aula) weist eine Diele und eine Dornse auf, wie es für hanseatische Kaufmannshäuser typisch ist. In unserer Übersetzung dienen die nördlich angeordneten Dornsen als weitere Differenzierungs- und Materialräume bzw. als Treppenraum, während der südliche Hallenabschluss als raumhaltige Wand die Nebenräume (Toiletten, Garderoben, Haupttreppe und Aufzug) aufnimmt. Durch die seitliche Anordnung der Funktionsräume bleibt die „Diele“ unverstellt und ermöglicht den ungestörten Durch- gang zum Hof sowie Nutzungen verschiedenster Art. Der Baukörper am Wasser erhält als Abgrenzung zum Sander Damm einen raumhaltigen Sockel, der Nebenfunktionen wie Küchenanlage, Müllstandort und Toilettenanlage verortet, während die südlich zum Schulhof angeordnete Dornse die Kinderbibliothek aufnimmt und als Auflager für den Schulbaukörper die tragende Bedeutung des Buches für die Schulbildung versinnbildlicht.

VERMITTLUNG DER EBENEN I Erschließung Schachteltreppe Atrium

Der höher gelegene Sander Damm wird rückwärtig über das an einem kleinen Vor-platz angeordnete Sockelbauwerk direkt an den Schulbaukörper angebunden. Zweieinläufige Treppen an der Nordseite des Hauses, die zu einer Schachteltreppe gefügt sind, bieten direkten Einblick in das glasgedeckte zentrale Atrium. Das hofar-tige Atrium versteht sich als Reminiszenz an die in den historischen Dielenhäuserntypische Luftraumverbindung zwischen den Geschossen mit ihren Galerien, Winden und Luken. Die Verschränkung des topographisch durch den Sander Damm gegebenen Höheniveaus der Grundstückssituation gelingt neben der Schachteltreppe über die im Osten entlang der Grundstücksgrenze zum Schleusengrabenpark verlaufende Außentreppe.

BACKSTEINSKULPTUR - Massivität und Leichtigkeit

Durch die einheitliche Verwendung von rötlichem Backstein als Fassadenmaterialentsteht, wie in der historischen Stadt, eine monolithische und plastische Anmutung der Baukörper. Durch ein versetztes Auflagern und Auskragen des Baukörpers scheint die neue Schule über dem Sockel zu „schweben“. Auch der fließende Raum des Erdgeschosses betont die Horizontalität und lässt die vertikal wirkenden Kräfte in den Hintergrund treten. Der Schulbau setzt der buchstäblichen „Schwere des Stoffes“ mit seiner Architektur eine lustvolle Leichtigkeit entgegen, die die Vielfalt von Lernsituationen und anziehenden Wissensgebieten aufscheinen lassen. Die Fassaden der Obergeschosse sind als raumhohe Vierendeelträger konzipiert undermöglichen die stützenfreien fließenden Räume im Erdgeschoss. Unser Entwurf für die Schule sieht sich als moderne Interpretation der ortstypische Backsteinarchi-tektur. Das klassische Thema des „Tragens und Lastens“ wird insbesondere entlangder Uferpromenade sichtbar und durch die öffentliche Wegeführung entlang derSchule erlebbar gemacht. Die skulpturale Anmutung des Baukörpers schafft, in Materialität, Proportion und Ausbildung des Sockelbereiches, einen übergeordneten Bezug zum Schloss Bergedorf. Die Ziegelvorsatzschale wird nach den klassischen Fügeprinzipien von Mauerwerk geschichtet und im Kreuzverband gemauert. Zur Betonung der Tektonik werden die horizontalen Balken der Geschossdecken als Reminiszenz an einen scheitrechten Sturz im stehenden Format mit vertikalen Fugen gemauert. Stützen und Pfeiler hingegen werden im liegenden Format geschichtet. Hierdurch ergibt sich ein spannungsvolles Wechselspiel in der Fassadengliederung.Die Fensterebene wird tief in die Laibung gesetzt und nimmt sich optisch zurück.Die matten Aluminiumprofile der Fenster greifen die ortsübliche Verwendung vonMetalloberflächen im Farbspektrum zwischen Kupfer und Bronze auf und nähernsich so farblich dem Ziegel an. Wenn möglich soll der vorhandene Abbruchziegel wiederverwertet werden, z.B. im Bereich der Bodenbeläge oder Umgrenzungsmauern.

FLEXIBLE RÄUME

Die räumliche Vielfalt reicht von eher geschlossenen Klassenzimmern bis zu offenenLernlandschaften mit vielfältig codierbaren Teilungs- und Adaptionsflächen im Bereich der jeweiligen Clustermitte. Geprägt werden die Kompartments jeweils durch eine gemeinsame pädagogische Mitte mit zugehörigen Differenzierungs-, Aufenthalts-, Erholungs- und Sanitärbereichen. Sichtbeziehungen zu diesen Foren werden über verglaste Atrium- und Flurwände mit Schiebetüren gewährleistet. Dezentrale Arbeitsräume für das Kollegium können nach Bedarf im Sinne des Raum-im-Raum-Prinzips über raumbildende Regalelemente gebildet werden. Das Thema der raum-haltigen Wand ermöglicht nicht nur die Unterbringung von Rückzugs- und Besprechungsräumen, sondern bietet auch Lagerflächen für Lehrmittel. Größeres Gerät kann im „Schaulager“ im ersten OG entlang des verglasten Atriums in Verbindung mit der Forscherfläche im EG untergebracht werden.

BRANDSCHUTZ I Fluchtwege I offene Treppe

Das höhere Niveau des Sander Damms dient als das für den direkten Ausgang in Freie notwendige Evakuierungsniveau zur Entleerung der Treppenhäuser im Brandfall. Der rückwärtige Nebeneingang ermöglicht darüber hinaus eine interne barrierefreie Verbindung der Niveaus über die Aufzugsanlage. Das EG auf Eingangsniveau kann über die Eingangs- und Terrassentüren im Brandfall ebenerdig entleert werden. Die im 1. OG bestehende direkte Andienungsmöglichkeit erlaubt es, die interne Verbindung zwischen den Außenraumgeschossen als nicht notwendige, wesentlich offener ausgebildete Treppenanlage zu konzipieren. Dies ermöglicht eine direkte Anbindung an den Hallenraum im EG mit vielfältigen Aneignungs-, Kommunikations- und Orientierungsmöglichkeiten.

LOW-TECH-Strategie

Wir halten es für sinnvoll, eine Architektur zu entwickeln, die den Bau selbst zumMittelpunkt aller Nachhaltigkeitsbestrebungen macht. Neben hochwertigen mög-lichst natürlichen Materialien und einer zeitlosen Gestaltung, ist es ökologisch wieökonomisch sinnvoll so zu planen, dass ein Gebäude durch Interpretierbarkeit, An-passbarkeit und die Möglichkeit für Erweiterungen für lange Zeit nutzbar bleibt.Passive Nachhaltigkeitsmaßnahmen zu priorisieren, macht an vielen Stellen aufwen-dige technische Installationen überflüssig. Um den Energiebedarf zu minimieren,sind Architektur, Fassade und Gebäudetechnik optimal aufeinander abgestimmt.Die gut gedämmte Gebäudehülle und die thermische Speicherfähigkeit des Gebäu-des übernehmen hier eine entscheidende Rolle. Die thermischen Lasten durch dieSonneneinstrahlung werden durch bewegliche Sonnenschutzmarkisen minimiert.Die Wärmeerzeugung erfolgt über eine Wasser-Wasser-Wärmepumpe, wenn möglich mit Geothermie-Nutzung. Der Strombedarf wird über eine Photovoltaikanlage auf dem Dach abgedeckt.

NACHHALTIGKEIT

Die robuste Grundstruktur des Gebäudes ist auf eine möglichst lange Nutzungs- dauer angelegt. Materialien eigenschaftsoptimal zu nutzen ist ein wichtiger Impe-rativ im Umgang mit den baulichen und natürlichen Ressourcen. Wir planen stetsrecyclinggerechte Konstruktionsweisen und verwenden möglichst keine Verbundwerkstoffe. Wo möglich werden natürliche Materialien aus der Region eingesetzt. Wir priorisieren den konstruktiven Einsatz von Holz, um den CO2-Fußabdruck zu minimieren. Für die lastabtragenden und aussteifenden inneren Tragstrukturen wie die Erschließungskerne soll ein Recyclingbeton mit CO2-Speichertechnologie zum Einsatz kommen. Es erfolgt eine klare Systemtrennung zwischen Rohbau und Ausbau. Die Installation der technischen Gebäudeausrüstung ist einfach gehalten und erfolgt losgelöst von der Gebäudearchitektur.

AUSSENRAUM

Der Ankunftsplatz schließt sich als multifunktionaler Bereich an den Weidenbaum-weg an. Im Zentrum befindet sich eine grüne Insel: Bäume und Hügel schirmenden verkehrsreichen Sander Damm ab, eine große Fläche aus Rasenfugenpflasternimmt 208 Fahrräder auf. Südlich davon liegt ein befestigter „Shared space“ fürFußgänger und Radfahrer, der gleichzeitig als Zufahrt für Anlieferung, Entsorgungund Feuerwehr dient. Gegenüber der grünen Insel liegen vier Besucher-, davon zwei barrierefreie Pkw-Stellplätze und ein Staudenbeet mit Warte-Bank. Robinien als trockenheitsresistente Bäume beschatten die Anlage. Auf dem großzügigen, für freie Bewegung geeigneten Schulhof befinden sich drei grüne mit Zierkirschen bepflanzte Inseln, die als Ruhezonen dienen. Westlich liegt der Schmetterlingsgarten, Trittsteine ermöglichen die Erkundung insektenfreundlicher Pflanzen, Holzdecks laden zum Ausruhen ein. Der Balanciergarten erfordert präzise und ruhige Bewegungen, die Hölzer können aber auch zum Sitzen genutzt werden. Die Ausblickinsel im Osten nimmt Bezug zur öffentlichen Grünfläche mit Schleusengraben; im Schatten der Bäume kann man hier das Pausenbrot essen oder Hausaufgaben erledigen. In der mit Sand gefüllten Sprunggrube darf auch gespielt werden. Der Schulgarten liegt etwas abseits vom großen Trubel als Senkgarten zwischen Hofmauer und Böschung zum Sander Damm. Der Bereich wird mit Hilfe von Sitzstufen terrassiert und ist so mit einer Bühne als grünes Klassenzimmer nutzbar. Obstbäume bilden einen Sichtschutz zum öffentlichen Fußweg. Auf der öffentlichen Grünfläche lädt eine Wiese mit einheimischen Blütenpflanzen und einer lockeren Bepflanzung aus Weidenbäumen zum Schaukeln ein. Schaukeln jeder Art für alle Generationen sind locker auf der Wiese verteilt und gewähren den Blick aufs Wasser. Riesen-, Nest-, Bauch-, Kleinkind-, Tampenschaukel sowie eine barrierefreie Schaukel bieten unterschiedliche Vergnügungen. Mit dem Kletterfelsen und der Boulderwand bieten sich weitere Aktivitäten auf dem Gelände, während die Sitzelemente auf der Wiese oder die Hängematte fürs Ausruhen bereitstehen. Flache Sitzstufen und ein großes Holzdeck bilden die Endpunkte der Wegeachsen und ermöglichen den Aufenthalt direkt am Ufer des Schleusengrabens.

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Auslober: Freie und Hansestadt Hamburg / SBH Schulbau

Architekt:  Moeller Soydan Architektur

Statik: Pichler Ingenieure GmbH

Landschaft: Atelier 8 Belin

Brandschutz: KLW-Ingenieure GmbH

Standort: Weidenbaumsweg / Sanderdamm Hamburg Bergedorf

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Neustrukturierung und Erweiterung Gewerbliche Schule Ravensburg 2.Preis