Zukunftszentrum Deutsche Einheit Halle

ARCHITEKTUR DER TEILHABE

Eine der wichtigsten Aufgaben der Architektur heute scheint es uns zu sein, gute Orte der Begegnung, des gegenseitigen Zuhörens und Verstehens zu schaffen und damit ein grundlegendes Moment einer funktionierenden Demokratie zu fördern. Ein zentraler Entwurfsgedanke für das neue Zukunftszentrum in Halle an der Saale war für uns, einen Ort schaffen zu wollen, der nicht festgelegt ist auf einen bestimmten Inhalt –einen Ort, der wahrhaft wandelbar ist und Möglichkeitsräume für das Unvorhersehbare der Zukunft eröffnet. Das von uns entwickelte Zukunftszentrum vermag es die Diversität der Gesellschaft, die Vielfalt der Menschen und ihrer Geschichten aufzunehmen, da es sich als offene, zu füllende Struktur versteht. Der Bau bietet sich an für Interpretationen, Anpassungen und Erweiterungen und wird so auch für eine lange Dauer nutzbar sein. Als integraler Teil einer neuen grünen Oase auf dem Riebeckplatz wird das Zukunftszentrum mit seiner effektvollen Holzfassade auch zum weitausstrahlenden Zeichen für eine nachhaltige Stadt- und Regionalentwicklung. Durch seine offene Gestaltung ist das Gebäude nahbar und lädt die Menschen der Stadtgesellschaft und ihre Besucher ein, sich das neue Zukunftszentrum anzueignen und den Ort aktiv zu nutzen. Unser Entwurf entspringt dem Gedanken, dass gute Architektur sich für die Aneignung durch die Nutzer anbietet. Gewissermaßen wird der Bau erst durch Aneignung und Teilhabe fertiggestellt - und somit bleibt er mit seinen Nutzern in Bewegung und in lebendiger Veränderung. Ein demokratischer Bau per se.

ARCHITEKTUR ALS OFFENE STRUKTUR

Wir stellen uns das neue Gebäude für das Zukunftszentrum Deutsche Einheit und europäische Transformation weniger als „klassisches Haus“ vor. Wir haben weniger nach einem festgefügten, nach ästhetischen Erwägungen ausbalancierten ganzheitlichen Konstrukt mit Wänden, Decken und einem Dach gesucht, sondern ein strukturelles Raumgefüge entwickelt, in dem die Gesellschaft mit ihrer kulturellen Diversität Raum finden kann. Es ist eine konfigurative Architektur, deren Qualität sich aus der Dialektik von langlebiger Struktur und weniger langlebiger „Einfüllung“ und Adaptierbarkeit ergibt. Wie in der offenen Gesellschaft in der jedes historische Subjekt zu jedem Zeitpunkt mit seinen Entscheidungen und Handlungen den Lauf der Dinge beeinflussen kann, entsteht über das Prinzip Struktur und Füllung ein Haus, dessen Wesen im Grunde immer erst aus der Wechselwirkung von Form und Nutzung entsteht. Die Primärstruktur besitzt eine Offenheit für viele unterschiedliche Fälle und ist im besten Sinne nicht spezialisiert auf einen funktionalen Sonderfall. Vielmehr ist sie stets adaptierbar, wie ein Spielzeug, für unterschiedlichste Funktionen. Durch das Zusammenwirken von professioneller Baukultur bei der Rahmensetzung der Primärstruktur und alltäglicher Baukultur in den Resultaten der Aneignungsprozesse ergibt sich nicht nur ein partizipatorisches Moment, sondern auch ein vitales Abbild unserer vielfältigen, unter einem Dach geeinten Gesellschaft. Mit seiner typologischen und strukturellen Eigenständigkeit löst sich der Neubau von seinem städtischen Kontext und weist auf die Besonderheit des Ortes. Sein Alleinstellungsmerkmal und seine Präsenz im Stadtraum bezieht er auch durch die exponierte Insellage und seine Höhenentwicklung. Mit seinen ca. 30 Metern Höhe nimmt er dabei dennoch Bezug zu den umliegenden Hochhäusern und bildet ein Gegengewicht zum geplanten Hotel-Neubau im Osten des Riebeckplatzes.

IN VIELFALT GEEINT

Das Gebäude verkörpert ein Spannungsverhältnis von Vielfalt und Einheit. Das kom-pakte Bauvolumen, die klare Grundstruktur, die einheitlich aus Holz gestaltete Hülle wird durch vielseitige Öffnungen und Durchdringungen „porös“. Wie in Walter Benja-mins berühmtem Denkbild zur Felsenhaftigkeit der Stadt entsteht das Haus als „leichter hölzerner“ Felsen voller Höhlen, gefüllt mit dem Leben der Stadt. ¬¬Das Spielder Füllungen innerhalb der Raumstruktur wie auch in der Fassade versinnbildlicht die Verflechtung und die Vielfalt der Menschen – und nicht zuletzt auch die Verflechtung unserer staatlichen Föderation. Das „hölzerne Gewand“ wiederum verwebt die „bunten Bilder des Lebens“ zu einer gestalterischen Einheit.

Stabilität und Fragilität Das Zukunftszentrum präsentiert sich als „wandelbare Box aus Holz“. Sowohl die Innenräume als auch die Fassadenstruktur können mit dem Wandel der Zeit angepasst werden. Eine feste Wandpfeilerstruktur, die notwendige dienende Funktionen aufnimmt, bildet das unveränderliche Grundgerüst. So kann sich die Raumnutzung frei um die Pfeiler entfalten und das Gebäude flexibel auf zukünftige Entwicklungen reagieren. Der Prozess des Wandels und der Transformation spiegelt sich in der Materialität des Holzes wider, das sich im Laufe der Zeit, je nach Witterung und Himmelsrichtung unterschiedlich verändert. Die somit entstehende vielfältig changierende Balkenlage in der äußeren Fassadenschicht aus neuen, gebrauchten, „veralteten“ und zu erneuern- den Kanthölzern steht dem ständigen Wandel der Gesellschaft sinnbildlich Pate. Auch in der Demokratie bedarf es einer ständigen Erneuerung, die von unveränderbaren „Grundpfeilern“ gerahmt und gesichert wird. Das Zusammenspiel von Neu und Alt, von Festigkeit (Stein) und Vergänglichkeit (Holz) bestimmt das architektonische Konzept für das „große Haus der Demokratie und des Wandels“. Die Identität des Ortes wird stark durch die hölzerne Materialität der Fassade geprägt. Inmitten der „steinernen“ Stadtlandschaft entsteht eine Art Heterotop, ein anderer, erinnerbarer und freier Ort, dem so eine zeichenhafte Bedeutung eingeschrieben wird. Die filigrane Holzfassade repräsentiert auch die Fragilität unseres schützenswerten demokratischen Systems.

FELDER DER MÖGLICHKEITEN

Die von uns entworfene innere und äußere Raumstruktur eröffnet frei bespielbare „Fel-der“. Ein sich über mehrere Ebenen erstreckender offener Raumverbund prägt das Gebäude und sorgt für intuitive Orientierung. Großzügige freistehende Doppelhelix-Treppen und Aufzugsanlagen verbinden den öffentlichen Bereich, vom Campus im EG bis zur Café-Bar auf dem Dach. Nichtöffentliche Bereiche sind angegliedert, jedochräumlich abtrennbar. Die Flächen zwischen den Wandpfeilern sind stützenfrei und können je nach Bedarf flexibel angeeignet und bespielt werden. In den Wandpfeilern selbst sind alle notwendigen Nebenfunktionen untergebracht, wie Fluchttreppenhäuser, Aufzüge, Sanitärräume, Lager und Technikräume. Der Haupteingang befindet sich an der südwestlichen Gebäudeecke mit großzügigem einladenden Empfangsbereich. Anlieferung und Logistik erfolgen von Norden. Eine optionale Tunnelanbindung an das Rondell leitet die Besucher über einen Lichthof zentral auf den Vorplatz.

GrRÜNE OASE

Ziel der Außenanlagenplanung ist es, an diesem von Verkehr dominierten Ort eine„grüne Oase“ entstehen zu lassen. Die Verflechtung des Gebäudes mit dem umliegenden Grünraum spielt hierbei eine zentrale Rolle – das gesamte Areal wird von Stadtnatur durchdrungen. Die Parkanlage findet auf Ebene des Daches als „Elevated Park“ ihre Entsprechung. Auch die Entwurfsidee der flexibel bespielbaren Felder erstreckt sich über das gesamte Grundstück. In Analogie zu den raumhaltigen Gebäudepfeilern finden sich im Park lose in den Fluchten der Gebäude-Achsen verteilte Pavillons. Diese bieten sich unter anderem an für temporäre Ausstellungen, Info-Points, Kiosk, Fahrräder oder öffentliche WC-Anlagen. Die orthogonale Struktur des Gebäudes setzt sich in den Außenanlagen fort und bildet hier eine Art „Teppich“, der die unterschiedlichen Nutzungen gestalterisch zu einer Einheit zusammenführt.

TRAGWERK UND KONSTRUKTION

Der Einsatz von Stahlbeton wird auf möglichst wenige Bauteile reduziert. Diese sind aus Brandschutzgründen und zur Bereitstellung von thermischer Masse die raumhalti-gen Wandpfeiler sowie das Untergeschoss mit Bodenplatte. Das Deckentragwerk wirdmittels vorgefertigter CLT-Holzverbundbauteile als Rippendecke hergestellt, wobei zwischen der Holzbalkenlage die frei umspülte thermische Masse von Lehmplatten zum Tragen kommt. Die nichttragende Fassadenkonstruktion wird geschosshoch auf einer Länge von ca. 12-13 Metern inkl. aller Aus- und Einbauten vorgefertigt. Durch denumlaufenden Regelachsabstand wird ein signifikanter Wiederholungsgrad für den zum Einsatz kommenden übersichtlichen Bauteilkatalog geschaffen.

LOW TECH STRATEGIE

Wir halten es für sinnvoll, eine Architektur zu entwickeln, die den Bau selbst zum Mittel-punkt aller Nachhaltigkeitsbestrebungen macht. Neben hochwertigen möglichst natürlichen Materialien und einer zeitlosen Gestaltung, ist es ökologisch wie ökonomisch sinnvoll so zu planen, dass ein Gebäude durch Interpretierbarkeit, Anpassbarkeit und die Möglichkeit für Erweiterungen für lange Zeit nutzbar bleibt. Passive Nachhaltigkeitsmaßnahmen zu priorisieren, macht an vielen Stellen aufwendige technische Installationen überflüssig. Wir halten es für sinnvoll, eine Architektur zu entwickeln, die den Bau selbst zum Mittelpunkt aller Nachhaltigkeitsbestrebungen macht. Passive Maßnahmen werden so priorisiert und technische Installationen minimiert.

LICHT UND LUFT

Der kompakte Baukörper wird über mehrere Höfe und Einschnitte natürlich mit Luft und Licht versorgt. Räume ohne Tageslichterfordernis, wie das Audimax und die Ausstellungsbereiche, befinden sich bauphysikalisch sinnvoll angeordnet in der unteren Gebäudemitte und im Untergeschoss. Das Lüftungskonzept basiert auf einem möglichst hohen Anteil an natürlicher Luft-Durchströmung. Diese wird erreicht, indem der Auftrieb der Lüftungstürme genutzt wird, um Abluft aus den Räumen abzuziehen. Die Zuluft strömt über Fenster in den Innenhöfen, über Fassadenöffnungen und Oberlichter kontrolliert nach. Über „Lüftungsquadranten“ am obersten Ende der Türme kann die Abwärme zurückgewonnen und im Bedarfsfall der Luftsog erhöht werden. Die Funktionsweise der Lüftungsschächte erfolgt je nach Thermik und Druckverhältnissen natürlich („Windtürme“) oder mit mechanischer Unterstützung (RLT). Im Sommer wird die nächtliche Kühle genutzt, um das Gebäude mit Luft zu durchspülen. Dies wird durch die Verdunstungskühlung der intensiven Dachbegrünung im Bereich der Innenhöfe unterstützt. Lüftungsklappen und Abluftanlagen werden mittels Sensoren über eine zentrale Gebäudeautomation angesteuert und kontrolliert. Innenliegende Räume wie das Audimax werden mechanisch be- und entlüftet (adiabate RLT). Energie: Um den Energiebedarf zu minimieren, sind Architektur, Fassade und Gebäudetechnik optimal aufeinander abgestimmt. Die gut gedämmte Gebäudehülle und die thermische Speicherfähigkeit des Gebäudes übernehmen hier eine entscheidende Rolle. Die thermischen Lasten durch die Sonneneinstrahlung werden durch einen effektiven Sonnenschutz, sowohl passiv durch feststehende Lamellen als auch aktiv durch bewegliche Sonnenschutzmarkisen, minimiert. Die Wärme- und Kälteerzeugung erfolgt über eine Wasser-Wasser-Wärmepumpe mit Geothermie-Nutzung. Die Wärme ggf. Kälte wird mittels modularer Deckensegel im Zwischenraum der Holzbalkendecke unterhalb der frei umspülten Lehmdecke eingebracht. Der Strombedarf wird über eine Photovoltaikanlage auf dem Dach abgedeckt (ca. 2000m²). Schallschutz: Der Schallschutz an der Fassade wird dadurch begünstigt, dass die natürliche Belüftung/Nachtauskühlung überwiegend über die Innenhöfe erfolgt. Versickerung: Das kompakte Gebäudevolumen minimiert den Fußabdruck und damit die Versiegelung des Grundstücks. Die Dachfläche wird intensiv begrünt und als„Elevated Park“ mit hochstämmigen Bäumen ausgestattet. Die ca. 80cm hohe Substratschicht sorgt für eine hohe Wasser-Speichermasse und begünstigt das Mikroklima.

NACHHALTIGKEIT

Die robuste Grundstruktur des Gebäudes ist auf eine möglichst lange Nutzungsdauer angelegt. Materialien eigenschaftsoptimal zu nutzen ist ein wichtiger Imperativ im Umgang mit den baulichen und natürlichen Ressourcen. Wir planen stets recyclinggerechte Konstruktionsweisen und verwenden möglichst keine Verbundwerkstoffe. Wo möglich werden natürliche Materialien aus der Region eingesetzt. Wir priorisieren den konstruktiven Einsatz von Holz, um den CO2-Fußabdruck zu minimieren. Die CLT-Holzverbunddecken sind durch ein Deckensegel aus vorgefertigten und örtlich verschraubten Vollfertigteilen hoch optimiert im Hinblick auf Vorfertigungsgrad, Montagegeschwindigkeit und auch Rückbaubarkeit. Die Verbindung zwischen den einzelnen Holzbauteilen erfolgt möglichst verbindungsmittelarm. Für die lastabtragenden und aussteifenden inneren Tragstrukturen wie die Erschließungskerne soll ein Recyclingbeton mit CO2-Speichertechnologie zum Einsatz kommen. Es erfolgt eine klare Systemtrennung zwischen Rohbau und Ausbau. Die Installation der technischen Gebäudeausrüstung ist einfach gehalten und erfolgt losgelöst von der Gebäudearchitektur.

WIRTSCHAFTLICHKEIT

Die repetitive Struktur der Fassade und der Einsatz von vorfabrizierten, modularen De-cken- und Wandsystemen garantieren eine optimierte wirtschaftliche Bauweise. Diekompakte Bauform erzielt ein optimales A/V-Verhältnis von wärmeabgebenden, kostenintensiver Hüllfläche (A) und beheiztem Volumen (V).

Bauherr: Land Berlin I BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH

Architekt:  Moeller Soydan Architektur I BSL-Architekten

Statik: ZRS Ingenieure GmbH

Landschaft: A8 Landschaftsarchitekten

Standort: Gededenkort Friedhof der Märzgefallenen
Ernst-Zinna-Weg 1, 10249 Berlin

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